Malte Ziegenhagen

„Es ist immer die Frage: Wie sehr willst Du etwas?“

Führungsspieler, Vorbild, Lernender – Niners-Basketballer Malte Ziegenhagen schlüpft in seinem Leben in viele Rollen. Seit Sommer 2016 ist Malte Ziegenhagen einer der Chemnitzer „Niners“ – Mitglied des Pro A-Basketball-Teams, das in der zweithöchsten deutschen Spielklasse agiert. Schnell wurde Ziegenhagen zu einem der beliebtesten Akteure der Mannschaft, in der vergangenen Spielzeit wurde er von den Niners-Fans zum MVP, zum „wertvollsten Spieler der Saison“ gewählt. In der aktuellen Spielzeit ist der der Kapitän des Teams. „mach was!“-Chefredakteur Volker Tzschucke sprach mit ihm über das unruhige Leben eines Basketball-Freaks und über seine „Raise up-Academy“, die in diesem Sommer Premiere hatte.

Malte, Du hast früh in Deinem Leben, mit 16 Jahren, für ein Jahr in Argentinien gelebt – wegen des Basketballs?

Ja, ich habe in meiner Heimatstadt Berlin angefangen zu spielen und war als Jugendlicher in der Nachwuchs-Nationalmannschaft. Da macht man sich Gedanken, wie man sich weiterentwickeln kann. Ich dachte: ein Auslandsschuljahr wäre nicht schlecht in der 11. Klasse.


Aber Argentinien hat man da nicht unbedingt im Blick…

Das war reiner Zufall: Bei einem Turnier in Frankreich haben wir gegen Argentinien gespielt, da bin ich mit deren Trainern ins Gespräch gekommen und fand das interessant. Also haben wir das organisiert, haben eine Familie gefunden, wo ich wohnen konnte. Meine Mutter war ziemlich dagegen, aber ich habe sie irgendwie überstimmt.


Wie war das Jahr?

Ich kam kaum an, schon war ich mitten in einem Familienfest mit ganz viel Trubel und Trara – so ist Südamerika. Auf der argentinischen Schule, wo ich war, sprach niemand deutsch. Also habe ich immer im Bus von der Schule zur Familie Spanisch gelernt. Das ist für mich auch eine Frage des Respekts: die Sprache lernen, wenn man in ein anderes Land kommt. Auch der Basketball hat mich überrascht: Die Spiele waren viel körperlicher, überwiegend wurde auf Betonboden gespielt. Das war in jeder Hinsicht eine interessante Erfahrung.


Dann bist Du zurück nach Berlin und hast Abi gemacht, gleich darauf ging es wieder ins Ausland…

Ja, ich war vier Jahre in Amerika und habe am College neben dem Studium Basketball gespielt. Das war dann wieder ein Kulturschock, vor allem das erste Jahr. Mein Trainer war nicht der größte Fan von mir, ich habe nicht viel gespielt. Also habe ich mir dann neue Colleges ausgesucht – fünf, sechs in Hawaii und in Kalifornien habe ich angeschrieben.


Das klingt nach: Ich will an den Strand…

Ja, so war das. Und ich hatte auch das Glück, dass mich zwei Colleges in Hawaii wollten. Eines habe ich dann besucht.


Anschließend bist Du nach Deutschland zurückgekommen, erst nach Bayreuth in die erste Liga, dann nach Chemnitz. In Deinem ersten Jahr in Chemnitz seid Ihr fast aufgestiegen, im zweiten lief es eher durchwachsen für das Team. Ein Einzelsportler kann meist ganz gut sagen, worin Erfolg oder Misserfolg begründet sind. Wie geht man damit als Teamsportler um?

Ich war in der vergangenen Saison nach einigen Spielen sehr emotional, weil wir die aus meiner Sicht sehr unnötig verloren haben: Du kämpfst wie verrückt, bist nah dran – und musst dann doch die Niederlage hinnehmen. Das hat uns auch im Saisonverlauf immer wieder nach unten gezogen, man braucht als Sportler auch das Erfolgserlebnis, den positiven Flow. Als Teamspieler weiß man aber, dass man nur als Team gewinnen kann. Da ist man von jedem ein bisschen abhängig. Das kann nicht nur an zwei, drei Personen hängen. Die Verantwortung muss auf viele Schultern verteilt werden. Man braucht immer unterschiedliche Puzzleteile,um eine gute Mannschaft zusammenzustellen. In diesem Sommer haben Verein und Trainer einen guten Job gemacht, sehr viel Energie aufgebracht, um die passenden Spieler zu fi nden. Ich glaube, da haben wir gute Chancen, wieder oben mitzuspielen. Das ist auch eine Ambition von mir, den Verein mit in die erste Liga zu führen, davon ein Teil zu sein.

Gerade guten Spielern wird öffentlich gern vorgeworfen, sie hätten nicht genug Verantwortung übernommen. Was heißt das denn, Verantwortung übernehmen?

Ich glaube, das ist facettenreich. Dazu gehört, dass jemand auf dem Spielfeld anpackt, die anderen mitnimmt, ihnen sagt: „Werdet mal wach, kommt mal alle klar“. Oder um eine motivierende Ansage im Spielerkreis.


Aber den entscheidenden Dreier zu versenken – das wird von einer Führungspersönlichkeit dann auch erwartet…

Ja, eine Führungspersönlichkeit ist auch jemand, der gut spielt, auf den man sich verlassen kann. Aber eben auch einer, der alle mitreißt, der auch Ansprechpartner für die anderen Spieler ist. Im Fußball ist da der Mannschaftsrat fest etabliert, drei, vier Spieler, die auch im engen Austausch mit dem Trainer stehen. Das gibt es im Basketball gar nicht – das bedauere ich, weil dadurch weniger Kommunikation zwischen Mannschaft und Trainer entsteht.

Liegt das vielleicht auch daran, dass im Basketball – wenn man von den Topvereinen absieht – viele Spieler immer etwas auf der Durchreise sind?

Ja, das ist sicher ein wichtiger Punkt. Oft laufen die Verträge nur ein oder zwei Jahre. Deshalb ist es auch schwierig, sich als Spieler mit Verein oder Stadt zu identifizieren. Als Spieler will man natürlich oben mitspielen. Wenn das nicht funktioniert, gibt es den einen oder anderen, der sagt: Ist jetzt auch egal.


Und würdest Du sagen, dass Du Dich inzwischen mit Chemnitz identifizierst?

Ja, ich bin jetzt zwei Jahre da und habe – auch aufgrund der beruflichen Möglichkeiten hier in der Stadt – für weitere zwei Jahre plus einer Option auf ein drittes Jahr unterschrieben. Das hätte ich nicht gemacht, wenn ich mich nicht mit der Stadt identifizieren würde und mir ein Leben hier nicht auch längerfristig vorstellen könnte.


Apropos Möglichkeiten: Neben dem Basketball studierst Du in Mittweida Industrial Management – warum?

Ich hab in Amerika den Bachelor of Business Administration gemacht, da ist das der logische Anschluss. Man muss ja auch realistisch bleiben – ich verdiene gerade ganz gutes Geld mit dem Sport, aber für den Rest des Lebens wird es nicht reichen. Und da bin ich nicht der Typ, der sich zurücklehnt. Die FH Mittweida fördert Spitzensportler bei ihrem Studium. Die Hochschule hat sich sehr um mich bemüht, die Dozenten nehmen Rücksicht auf die Sportkarriere, also passt das sehr gut.

Wie oft warst Du in den vergangenen zwei Jahren zu Vorlesungen und Seminaren?

Ich habe das schon sehr ernst genommen. Ich wollte so viele Kurse wie möglich mitmachen, weil ich auch wusste, dass die Prüfungen schwer werden. Im ersten Jahr war ich fast täglich in Mittweida, mein Trainer hat da viel ermöglicht. Im dritten Semester macht man dann Praktikum, das habe ich bei einer Chemnitzer Werbeagentur absolviert. Und jetzt schreibe ich an der Masterarbeit und bin Werkstudent bei einem Chemnitzer Start-up.

Wie ist das für Dich, diese Arbeit in der Firma?

Schon im Vorstellungsgespräch wurde ich vom Geschäftsführer richtig auf die Probe gestellt. Das war ich gar nicht gewohnt. Im Sport bin ich der selbstbewusste Typ, seine erste Frage war: „Malte, was kannst du eigentlich?“ Also habe ich erzählt, was ich so gemacht habe im Studium. Sie haben mir klar gemacht, dass es eine andere Welt ist als der Sport, aber dass sie mir eine Chance geben. Jetzt bin ich seit einem Jahr dabei. Ich lerne sehr viel, bekomme extreme Unterstützung bei meiner Masterarbeit und habe die Chance, hier nach dem Master eine Teilzeitstelle zu bekommen.


Auf dem Feld die Führung übernehmen, im Unternehmen eher der Lernende sein – wie kommst Du damit zurecht?

Das ist schon wirklich etwas Neues für mich. Ich hatte noch nie einen Vorgesetzten. Im Unternehmen gibt es klare Ansagen, da heißt es: „Deine Idee ist gut, aber wir machen das anders.“ Aber mein Chef hat ein sehr gutes Gespür für Menschen und mir hilft es sehr, dass er auch noch nicht so alt ist. Seine Frage gleich im Vorstellungsgespräch hat mich natürlich auch ein wenig herausgefordert: „Dem will ich beweisen, dass ich auch außerhalb des Sports etwas kann“.

In einer ganz anderen Rolle bist Du dann wieder als Organisator der „Raise up-Academy“ für junge Basketballspieler. Wie kam es dazu?

Ich habe solche Basketballcamps drei Jahre lang bei einem Freund in der Schweiz begleitet. Da hatte ich immer viel Spaß und da habe ich gedacht, warum gibt es das in Chemnitz nicht? Also haben wir das hier aufgezogen mit einem Freund, der sich mit Sportmarketing auskennt, und mit der Hilfe der Niners. Und so hatten wir in diesem Jahr 35 Kinder zwischen acht und 14 Jahren in unserer „Raise-up Academy“. Es war eine gute Mischung zwischen Kindern, die schon im Verein sind, aber auch welche, die noch nicht groß Basketball gespielt haben.


Was willst Du den Kindern mitgeben?

Ich habe ein wenig erzählt aus meinem Leben. Es geht mir auch darum, dass sie Sportler nicht als „Heilige“ wahrnehmen, sondern als Menschen wie du und ich. Da hat in diesem Jahr natürlich super gepasst, dass anlässlich der Junioren-Basketball-EM in Chemnitz mit Dennis Schröder auch ein wirklicher Superstar, ein NBA-Spieler, in der Stadt war und uns im Camp besucht hat. Es ist super, dass Dennis das macht. Und die Kinder haben gemerkt, dass wir Sportler lieben, was wir machen, dass wir eine große Leidenschaft haben – und dass man mit dieser Leidenschaft viel erreichen kann. Wir wollen also neben dem Basketball-Training auch ein paar Werte mitgeben.


Welche Werte sind das noch?

Für mich ist Disziplin sehr wichtig, ich habe mein ganzes Leben darauf aufgebaut. Es ist immer die Frage: Wie sehr willst Du etwas? Wenn Du mit 16, 17, 18 Jahren ins Leben entlassen wirst, musst Du eigentlich wissen, was Du willst. Das ist ganz schön viel verlangt in diesem Alter, weil man es eigentlich noch gar nicht so richtig weiß. Aber das sind eben die Jahre, wo man sich selbst formt, wo man sich fragt: Was will ich erreichen im Leben? So war es zumindest bei mir: Ich habe immer am Sport festgehalten – und dann haben sich ganz viele Türen für mich geöffnet. Diese Passion, die mich selbst antreibt, die will ich den Kindern mitgeben.

MALTE ZIEGENHAGEN ÜBER…

…die Idee, NBA-Spieler zu werden:

Ehrlich gesagt: für mich war das nie eine Option. Als ich in Amerika war, gab es nur Dirk Nowitzky als Deutschen in der NBA, da war fast nicht vorstellbar, dass es noch jemand anderes schaff en könnte. Heute ist das sicher anders: Wir haben fünf, sechs Nationalspieler, die in Amerika spielen, die auch relativ jung dorthin gekommen sind. Da hat man als Nachwuchsspieler viel eher das Gefühl: das kann ich ja auch schaff en.

…sportliche Rückschläge:

Bei einigen meiner Stationen lief es nicht so gut – das ging so weit, dass ich überlegt habe, mit dem Basketball aufzuhören. Aber es haben sich immer wieder neue Türen geöffnet. Solche Chancen muss man dann ergreifen.

…Chemnitz:

Im Sommer nach der Saison in Bayreuth war ich mit meinem Papa in Brasilien und wollte mit Basketball nicht mehr viel zu tun haben. Mitten im Urlaub kam der Anruf, ich solle mich bei zwei Vereinen in der zweiten Liga vorstellen. Nach dem Probetraining in Chemnitz wollte mich der Trainer haben. Das war für mich ein absoluter Glücksgriff : Der Verein will wachsen und strebt den Aufstieg in die erste Liga an und die Stadt gibt mir Möglichkeiten, mich zu entwickeln.

 

Zur Person:

Malte Ziegenhagen wurde 1991 in Berlin geboren, wo er auch mit dem Basketballspielen begann. Er war Mitglied mehrerer Jugend-Nationalmannschaften bis zur U20. Ein Auslandsschuljahr führte ihn nach Argentinien, das Studium in die USA. 2015 wechselte er in die 1. Bundesliga zu Medi Bayreuth, seit 2016 spielt er in Chemnitz. Daneben absolviert er derzeit sein Masterstudium an der FH Mittweida.

Texte: Volker Tzschucke

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